Nicht nur im Frühling
Kuschel-Zeit
Reizvoll zeigt die Natur eine anregende Fülle. Die Sinne knospen wie die Blüten und eine undefinierte Bedürftigkeit breitet sich im Körper aus.
Spätestens wenn
die ersten turtelnden
Täubchen im Baum gurren und
Menschen öffentlich sichtbar Zärtlichkeiten
austauschen,
wird es klar: Ich will
auch!
Aber eigentlich ist es egal, es
könnte auch November oder
Juli sein. Dies leicht ziehende oder kribbelnde Verlangen
kann in jeder
Jahreszeit kommen.
Was soll ich tun: Soll ich mich etwa aufs Glatteis
der
Verliebtheit begeben, nur weil grad‘ Frühling
ist,
um dann doch wieder
Gänseblümchen zu zupfen
„er liebt mich
– er liebt mich nicht“/ „sie liebt mich
- sie liebt mich nicht“?
Oder muss ich mir das
T-Shirt mit
dem Aufdruck
„Single! Sprechen Sie mich an!“
anziehen und mich
gleichzeitig haltlos den
wilden Fantasien derer aussetzen, die es lesen?
Oder gar im Dunkeln
erbärmlich
jemand Erbärmlichen von der Theke kratzen, nur um ein bisschen
zu kuscheln?
Kuscheln!
Die Zeitschrift „Psychologie heute“ hatte
unlängst den Aufmacher „Allein leben
– warum immer mehr Menschen sich nicht binden“
und
unter anderem einen Artikel
zum „Bedürfnis der Urhorde“,
nämlich Körperkontakt und nämlich zu
Kuschelparties.
Es ist bekannt, dass Körperkontakt ein wichtiges menschliches
Grundbedürfnis
ist wie Essen und Trinken. Schau ich um mich herum,
ist
Körperkontakt
irritierend und unüblich - bis auf vielleicht den
Frankreich-Import des
Rechts-Links-Begrüßung-Andeutungskuss.
Zwischenmenschliche Angebote oder
Nachfragen auf Körperkontakt, vor allem zwischen hetero
geschlechtlichen
Menschen,
ist quasi immer gleichzeitig ein Angebot zum Sex.
Zärtlichkeit des
Freundes mit seinem besten Freund ist „igitt, ich bin doch
nicht schwul“
und
der Körperkontakt zwischen Freundinnen ist ebenfalls oft eine
Grenzwanderung.
Distanz prägt unser menschliches Verhalten
und reicht bis zu
den modernen
Wortschöpfungen, die im sozialen Bereich Einzug gehalten
haben. ‚Case
Management‘ bannt
die Menschlichkeit noch mehr, als sie schon
aus den ‚Fällen‘
verschwunden war.
No Sex!
Kuschelparties sind Raum mit klaren Regeln. Keine Nacktheit und kein
Sex. Die
eigene Eindeutigkeit des „Ja“ oder
„Nein“
muss sicher sein: „Wenn Du
‚Ja‘
meinst, sag ‚Ja‘. Wenn Du
‚Nein‘ meinst, sag ‚Nein‘. Wenn
Du ‚Vielleicht‘
fühlst, sag ‚Nein‘!“
Kuschelparties sind Experimentierfeld und Spielwiese, ist
in Kontakt gehen und auf das eigene Gefühl
hören.
Es
wird ein respektvoller
Umgang miteinander gepflegt und 'müssen' muss eine/r schon gar
nichts.
Die
‚Auszeit‘ oder der Rückzug aus der
Situation ist ebenso möglich wie die Meinung
spontan zu ändern.
Wer unsicher ist oder
Unterstützung braucht, bekommt sie.
Vom Kuschelcoach! Hört sich alles gut an.
Welche sich traut,
in Kontakt zu
gehen, kann hier also Gleichgesinnte finden und eine wunderbare Zeit,
ganz viel
unschuldigen Körperkontakt eingehen. Die Kuschelparty- Idee
kommt aus den
Staaten und nennt sich dort cuddling.
Menschen kommen zu
Kuschelparties, weil
sie andere spüren, sich anlehnen, gehalten werden
möchten, lachen,
entspannen,
den Körper nähren. Sie haben alle dies
Bedürfnis und das schafft eine
gemeinsame vertrauensvolle Basis.
Gleichzeitig ist es
‚Üben für’s Leben‘, um
mit Selbstverantwortung umzugehen. Und dies auf so angenehme Art!
Selbstversuch
Ich schaue im Internet nach (http://www.alle-kuchelpartys.de).
Die Hamburger Seite sieht
nett und ansprechend aus
und ist auch nicht weit weg. Aber
natürlich lässt mir
diese Idee keine Ruhe. Gibt es ‚sowas‘ in Bremen
auch?
Ja, gibt es! Ich ruf die
angegebene Telefonnummer an, denn eine Anmeldung wird erbeten. Das geht
per
Vorname.
Einige Informationen hole ich mir vorab – denn
natürlich ist da ein
wenig Unsicherheit trotz aller Neugier!
Es kommen Menschen, die schon
häufiger
da waren, aber es sind auch immer Neue dabei.
Das
Männer-Frauen-Verhältnis ist
nicht vorauszusagen. „Wenn mehr Frauen da sind, ist das kein
Problem,
die haben
keine Angst aufeinander zuzugehen“, sagt die
Kuschelcoachin.
„Wenn mehr Männer
da sind, dann frag ich mich schon: ‚Was fang ich mit
all‘ den Kerlen an?
Die
haben mehr Schwierigkeiten." Man könne sich jederzeit an den
Rand setzen,
sagt sie.
„Und vielleicht ist dir auch alles zu viel und du
musst dich
rausbegeben und erst mal nur da sitzen“.
Beginn ist 19:00h. „Was ist mit Menschen, die bis halb acht
oder acht arbeiten
müssen“, frage ich.
Eine halbe Stund später
geht noch. Aber eine Stunde später,
da kommt man nicht mehr ‚dazu‘.
Aber um 19.30 Uhr
würde ich noch
hereingelassen. Der Abend kostet 13 Euro. Als ich zum Termin
eile,
weiß ich
also, dass ich zu spät sein werde. Habe ich mir Vorstellungen
gemacht? Sicher.
Ich denke, eine springt da rein und gleich wird sie in den Arm genommen
und es
wird geschmust. Hilfe, halte ich das aus?
Aber ich muss ja nichts
machen, was
ich nicht will. Und wenn ich die alle doof finde, dann geh‘
ich eben wieder!
Mir wird aufs Klingeln geöffnet. Die Frau, die mich
hereinlässt, nimmt mein
Geld entgegen und informiert mich kurz über
das
‚Drum-Herum‘. Die Kuschelregeln
wurden schon besprochen, es gab bereits eine kleine
Vorstellungsrunde.
Dann
Schuhe ausziehen. Jacke, Mantel, Handy ablegen im Umziehraum. Als ich
hereinkomm in die ‚Höhle der
Löwen‘
nehme ich schnell viele Eindrücke
wahr:
Großer freundlicher heller Raum. Musik zum Tanzen.
Ich
zähle dreizehn Menschen.
Etwa die Hälfte Männer und Frauen. Erstaunlich jung,
von geschätzten eben
gerade zwanzig
bis, na sagen wir mal, Ende dreißig das Gros.
Zwei, drei Frauen
um vierzig plus.
Würde ich mir wünschen, es sollte
dunkel sein in dem Raum,
damit ich nicht so viel sehe und nicht gesehen werde?
Ich werde
während des
Tanzens von gegenüber von der Kuschelcoachin
begrüßt. Dann endet die Tanzphase.
Es gibt für mich eine offene Begegnung, auch wenn ich mir
natürlich ein wenig
fremd vorkomme und mich nicht ganz ‚sicher‘
fühle.
Trotzdem empfinde ich das
alles ziemlich locker. Jetzt gibt es eine Spielzeit, die Kuschelcoachin
bietet
einige Aufgaben.
Die Betonung liegt auf dem Spaß an der
Sache. Ein Kreis, der
sich ineinander knotet und unweigerlich zu Berührungen
führt.
Geht ganz einfach.
Dann Ja-Nein-Spiele mit zufälligem Partner oder Partnerin. Ich
weiß inzwischen:
ich ziehe wahrhaftig
die Begegnung mit Frauen vor! Es ist Spannung da
zwischen
den Paaren: wie ist denn eigentlich das Gefühl,
ein
„Ja“ oder „Nein“ zu
bekommen oder zu sagen? Man tauscht sich aus. Dann gibt es eine kleine
Pause,
Tee und Wasser kann sich eine nehmen im Vorraum. Konnte ich mir bis
jetzt noch
vormachen, ich recherchiere, weiß ich
spätestens
hier: Das tu‘ ich für mich
selber! In der Zwischenzeit wird die Kuschelwiese aufgebaut: weiche
Matratzen,
viele Kissen, viele Decken.
Und das Licht wird etwas gemütlich
dunkler.
Kuschelzeit